Vorab: Nein. Das ist kein Testbericht zum iPhone X, auch wenn es durchaus Fotografen gibt, die das iPhone besprechen, ja sogar gegen eine Spiegelreflexkamera antreten lassen. Es geht hier tatsächlich um die Hochzeitsfotografie.
Ein weiteres Nein: Ich habe kein iPhone. Ich kenne die Qualität der Fotos nur von diversen Testbildern, aber ich weiß eines ganz bestimmt: Meine Töchter sind scharf darauf. Die verbaute Dual-Kamera ist ein wesentliches Argument. Begeisterungsstürme löst vor allem das (Pseudo-)Bokeh aus.
Bo… was?
Für alle Nicht-Fotografen: Bokeh kommt vom japanischen Begriff »Boke«, was »unscharf« oder »verschwommen« heißt. Spricht ein Fotograf von gutem oder schlechtem Bokeh, klassifiziert er damit gleichsam auch die Güte eines Objektivs. Es ist eine Aussage darüber, wie gut oder schlecht es den Hintergrund eines Motivs in Unschärfe »verschwimmen« lässt (und damit das Motiv im Vordergrund zu isolieren, in den Fokus des Betrachters zu rücken). Ist das Bokeh ruhig oder unruhig (harsch), sind die Lichter bzw. Lichtpunkte schön rund oder eher eirig? Ich schweife ab. Lassen wir es dabei bewenden. Wer mehr darüber wissen möchte, der wende sich an die leicht verdauliche Erklärung auf Wikipedia.
Vom Reiz des Matsches
Wo waren wir? Ach ja: Meine Töchter sind scharf drauf. Warum noch mal? Ich erwähnte es: Sie sind es unter anderem eben deswegen, weil das iPhone X (was auch schon das iPhone 7 konnte) den Hintergrund in undefiniertem Matsch versinken lässt. Moment mal? Matsch? Also nicht gut? Nope. Akzeptabel vielleicht. Denn hier entscheidet NICHT die verbaute Hardware, also Objektiv, Linsen, Anzahl der Lamellen, Sensor, Blende, Brennweite, über das Bokeh, sondern im Wesentlichen ein Software-Algorithmus. Ob das Bokeh nun gut oder schlecht ist, können meine Töchter natürlich nicht beurteilen – und es ist ihnen herzlich wurscht. Alleine, dass das Motiv sich nun vom Hintergrund abhebt, wird gefeiert, als sei die Fotografie gerade eben erst erfunden worden.
Das Handy: Ein Foto-Diary
Begibt man sich mal in die Handy-Abteilung einschlägiger Elektronik-Kaufhäuser und lauscht den Gesprächen zwischen Verkäufern und Kunden, ist die Güte der Kamera ausnahmslos immer ein Thema. Nur sagt den Kunden aber keiner, dass das fast egal ist, weil nur die wenige von ihnen die Fotos vom Handy ziehen, sie über einen großen, hochauflösenden Monitor betrachten und/oder ausdrucken werden. Primär wird damit nur das Essen fotografiert oder für alle Welt dokumentiert, wo man sich gerade befindet. Das Gros der Fotos verbleibt für alle Ewigkeit auf dem Handy und wird auf einem Mini-Display betrachtet. Das Handy ist zur fotografischen Speicherung des eigenen Lebens da.
Wertschätzung
Don’t get me wrong: Ich will weder iPhone-Bashing betreiben, noch in das alte Horn blasen, dass eine »konventionelle« Kamera jeder Handy-Kamera überlegen ist und noch eine Weile bleiben wird.
Es geht mir um etwas ganz anderes.
Nämlich um die Frage, warum zum Geier einem solch alten Hut (Bokeh) derart viel Aufmerksamkeit gewidmet und Wertschätzung entgegengebracht wird, dafür viele 1000 Euro auszugeben bereit sind (wohlgemerkt für eine zweijährige Nutzungszeit des Spielzeugs), während ein Hochzeitsfotograf sich nicht selten dafür rechtfertigen muss, dass seine Arbeit mit mindestens dem Gegenwert eines iPhone X zu begleichen ist, obwohl seine Fotos theoretisch Ewigkeiten überdauern und besser sind.
Ja, natürlich weiß ich, dass ein Handy noch mehr kann, als nur fotografieren. Zur Erinnerung: Es wurde mal dazu erfunden, einfach nur mobil telefonieren zu können. Aber siehe oben: Die Kamera ist ein gewichtiges Thema, das maßgeblich zur Kaufentscheidung beiträgt.
Also warum rennen die Kunden Apple die Bude ein? Die Antwort ist: Status und Marketing. Auch das ist nichts Neues und das Geheimnis hinter Apples Marketing ist eigentlich keines. Das Unternehmen schafft es immer wieder, alten Wein in neue Schläuche zu füllen, an den Mann und die Frau zu bringen. Mehr noch: Es schafft ein Bedürfnis, das vorher gar nicht existierte. Oder glaubt jemand, dass auch nur ein Bruchteil der Käufer des iPhone X wusste, was ein Bokeh ist? Apple wirbt mit der Güte der Kamera und suggeriert über großformatige Plakatwerbung, dass jeder professionelle Fotos damit schießen kann. Es wird bewusst der Eindruck geschaffen, dass die Güte der Fotos von den technischen Fähigkeiten der Kamera abhängig sei. That’s Killer-Marketing, Folks! Nur um das klarzustellen: Das behaupten traditionelle Kamerahersteller auch.
Pack den Kunden beim …
Was heißt das nun für Fotografen im Allgemeinen und die Hochzeitsfotografie im Speziellen? Ganz einfach: Analog zu Pack den Stier bei den Hörnern lässt sich sagen Pack den Kunden beim Bokeh. Einfacher ausgedrückt: Es scheint mir maßgeblich, die Qualität der eigenen Arbeit in den Fokus zu rücken, über ein Bokeh hinaus klarzumachen, welchen Stellenwert Fotografie noch immer hat – trotz und gerade wegen der Milliarden Handy-Fotos, die jeden Tag das Licht der Welt erblicken. Mit oder ohne Pseudo-Bokeh.
Natürlich ist dafür in erster Linie entscheidend, wie die Fotos gelingen, welche Kreativität man dafür an den Tag legt (wobei man sich darüber streiten kann), aber eben auch, wie man sich verkauft.
Alles billig …
Provokante These: Ein iPhone-X würde viel weniger interessieren, wenn es nur 200 Euro kosten würde. Und wie sollen Kunden Fotografie wertschätzen, wenn man sich, seine Arbeit und seine Kunst für den Gegenwert eines Handys, von mir aus auch eines iPhoneX anbietet? Wie sollen Kunden verstehen, dass Hochzeitsfotografie nicht nur daraus besteht, den Auslöser zu drücken, wenn sie doch selbst genau das tun, mit dem (errechneten) Bokeh eines iPhoneX beglückt werden und darüber in Verzückung geraten?
Es sind aber nicht die Handys und ihre Kameras, die Allgegenwärtigkeit und Vereinfachung der Fotografie, die Milliarden Fotos pro Tag, ja nicht einmal ein errechnetes Bokeh, das die Fotografie entwertet.
Es sind die Fotografen selbst! Wenn sie sich zum Dumpingpreis auf den Markt werfen, signalisieren sie dem Kunden nur: »Ich bin nichts wert. Meine Arbeit ist es nicht. Was ich kann, kann dein iPhone (oder Onkel Bob) auch. Du brauchst mich vielleicht nur, weil du gerade keine Hand frei hast, um deine eigene Hochzeit im Selfie-Modus zu begleiten.«
Vielleicht ist das etwas übertrieben – immerhin engagieren viele Brautpaare noch Onkel Bob, weil er »eine gute Kamera« hat. Was aber dahintersteckt, ist der Irrglaube, dass ein gutes Hochzeitsfoto der technischen Güte einer Kamera zu verdanken ist. In fünf oder zehn Jahren sind wir dann vielleicht schon so weit, dass Brautleute deshalb auf einen Hochzeitsfotografen verzichten, weil Onkel Bob das neueste iPhone Z hat.
Der Sargnagel sind wir selbst
Wenn es so kommt, dann deshalb, weil die Fotografen die Entwertung, Banalisierung und Bagatellisierung der Hochzeitsfotografie zugelassen haben, unter anderem deswegen, weil sie sich unterhalb des Wertes eines dann vielleicht erhältlichen iPhone Z verkaufen.
Doch dann ist es zu spät.
Der Sargnagel für die Hochzeitsfotografie sind die Fotografen selbst. Das iPhone X, Y oder Z ist es nicht und es ist auch nicht der Hammer, mit dem er eingeschlagen wird.